Corona – das Spalt-Virus

Keine Angst, ich gehöre nicht zu den Hobby-Virologen und es liegt mir fern einen neuen virologischen Begriff einzuführen. Mir geht es um die gesellschaftliche Spaltung durch die globale Corona-Pandemie.

Ups, da haben wir doch schon den ersten Punkt: Die Pandemie ist global und sie spaltet in unserem Land die Gesellschaft. Was für ein Widerspruch, sie müsste uns ja alle vereinen bei der Bekämpfung. Macht sie aber nicht, das liegt an verschiedenen Modellen der Pandemie-Bekämpfung und natürlich an machtpolitischen Prioritäten von Akteuren. Ich komme als erstes zu dem oft gebrauchten, besser gesagt missbrauchten, Modell.

Herdenimmunität – ein Trugschluss

Die Menschheit hat in ihrer Geschichte viele Pandemien und Epidemien hinter sich gebracht, das Resultat „Herdenimmunität“ kann selten, wenn überhaupt festgestellt werden. Geht man in die Geschichte zurück dann ist zwar festzustellen, dass die europäischen Eroberer Amerikas und Afrikas dort Krankheiten einschleppten gegen die sie zwar nicht immun waren, die bei ihnen selbst nur zu leichten Verläufen bei den Natives aber zum Tode führten. Diese Beispiele sind aber nur bedingt, wenn überhaupt, tauglich.

Die Menschen sind, nach Jahrhunderten, nicht Herden-Grippe-Immun und auch in weiteren hundert Jahren sind wir nicht Herden-HIV-Immun. Selbst die Immunisierung gegen Pocken, Polio und andere virale Erkrankungen wurde nicht durch Herden-Infizierung, sondern durch Impfungen erreicht. Eine „Durchimpfung“ sorgt dafür, dass ein Virus eingedämmt wird. Es verschwindet aber nicht, wie wir an den Masern-Ausbrüchen sehen. Diese treten auf weil der Impfstatus der Bevölkerung unter eine kritische Marke der Durchimpfung gesunken ist.

Was passiert nun eigentlich, wenn eine „Durchseuchung“ (ein schrecklicher Begriff) der Bevölkerung versucht wird und sich eben keine Herdenimmunität einstellt?

Das Modell stammt in seinen Grundzügen aus der biologischen Kriegsführung, lässt sich aber durch die Geschichte der Epidemien weitgehend bestätigen. Eine Einfügung sei mir vorher gestattet.

Die große Beschwichtigung

Es geht mir hier keinesfalls darum Angst zu wecken, aber es wäre spätestens ab 2003 notwendig gewesen die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, dass eine globale Pandemie in der Zukunft möglich, besser gesagt wahrscheinlich, ist. Damit wären manche heutigen Probleme vermeidbar gewesen.

Das wurde aus machtpolitischen Gründen unterlassen, in Deutschland stehen ja ständig irgendwelche Wahlen an und wenn eine Partei davor gewarnt hätte, wäre sie wohl von den anderen der Schwarzseherei beschuldigt worden. Die Vorbereitung auf eine Krisenlage ist nicht „sexy“, also weg damit – das sehen wir auch an den Beschwichtigungsversuchen zur drohenden Klimakatastrophe.

Aber ich schweife ab, zurück zur Herdenimmunität und dem „Durchseuchungs-Modell“.

Zusammenbruch der Gesellschaft

Bei einer „Durchseuchung“ kommt es zu einer massenhaften Infizierung und Erkrankung, besonders der wichtigsten Akteure der Gesellschaft. Nachfolgend einige Beispiele:

  1. Beim Versuch die Erkrankten zu heilen und zu pflegen infizieren sich die ÄrztInnen und PflegerInnen – sie erkranken und fallen aus, durch Krankheit oder Tod.
  2. Menschen im Einzelhandel und in der Logistikbranche, die den Kundenkontakt nicht vermeiden können, erleiden das selbe Schicksal – es kommt zu Versorgungsengpässen und somit zu Unruhen.
  3. Ordnungskräfte werden zur Verhinderung und Bekämpfung der Unruhen eingesetzt, sie erkranken und siehe oben.
  4. Die Menschen ziehen sich aus Angst weitgehend zurück, vermeiden Interaktionen, isolieren sich und das gesellschaftliche Leben bricht zusammen – die Epidemie erlischt, besser sie „brennt aus“ – zu einem schrecklichen Preis.

Übrigens ist auch genau dieses bei den der mittelalterlichen Pest in Europa größtenteils so geschehen.

Sage also noch jemand, ein geplanter Lockdown wäre das Schlimmste.

Akzeptanz für Schutzmaßnahmen

Es ist für mich absurd, dass die Maßnahmen wie Kontaktvermeidung und Einschränkung der Interaktionen, so schwer sie uns allen fallen, im Falle eines feindlichen Angriffs mit biologischen Waffen den meisten Menschen einleuchten würden. In diesem Falle gäbe es nämlich einen personifizierten Gegner, dem man das anlasten könnte.

Im Falle einer Pandemie oder Epidemie haben wir diesen Gegner nicht, es sei denn wir suchen einen. So geschehen durch Donald Trump und andere Akteure, die aus machtpolitischen Gründen vom „China-Virus“ sprechen, oder von denen die aus ihrem Rassismus heraus über absurde Theorien wie „asiatische Essgewohnheiten“ palavern.

Die Schutzmaßnahmen sind, ob mit oder ohne personifizierten Gegner/Feind, erforderlich.

Spaltung der Gesellschaft

Diese Spaltung erleben wir jeden Tag, im normalen Leben oder bei Demonstrationen. Mit Begriffen wie „Schlafschaf“, den so genannten „Querdenkern“, mit „Maskenmuffeln“, „Corona-Partys“, „CovIdioten“ und ähnlichem befeuern wir diese immer weiter.

Heimlich, still und leise kommen inzwischen, durch die Hintertür, Angriffe gegen die Demokratie zum Vorschein.

Angriff auf die Demokratie

Es ist ein altes und bewährtes Konzept, dass Demokratie-Gegner in Krisenzeiten einen demokratischen Staat zwingen undemokratische Maßnahmen , oder Maßnahmen die man so bezeichnen kann, zu treffen. Sie tun das mit demokratischen Mitteln. Klingt kompliziert, ist es aber nicht.

Die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative ist der Demokratie eigen, das lässt sich vortrefflich ausnutzen. So zuletzt gesehen bei den Demonstrationen des Corona-Leugner-Wanderzirkus in Leipzig, Berlin, Dresden und anderen Städten.

Das Versammlungsrecht ist ein grundgesetzlich verankertes Recht – das ist auch gut so – und kann nicht so einfach eingeschränkt werden. Also wurden und werden Versammlungen und Demonstrationszüge angemeldet und im Falle eines Verbots durch die Kommunen oder Länder wird geklagt. Das ist vollkommen rechtmäßig in einer Demokratie, ich betone das ausdrücklich.

Die zu erwartende Reaktion, eine ebenfalls verständliche und bedingt richtige, war die Verabschiedung des „Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ durch Bundestag, Bundesrat und deren Bestätigung durch den Bundespräsidenten. Der demokratische, hier parlamentarische, Weg, um die erforderlichen Maßnahmen in Gesetzesform zu bringen, wurde arg verkürzt. Auch ich sehe das als problematisch an. Manche politischen Akteure ziehen aber daraus den Schluss:

„Der demokratische Staat handelt undemokratisch!“

Ein Beispiel dafür ist die propagandistische Verbindung des juristischen Begriffs Ermächtigung, welcher im Gesetz mangels treffender Alternativbegriffe gebraucht wird, mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933. Einfach und prägnant – aber einfach falsch.

Ziel erreicht für die weitere antidemokratische Behandlung des Themas, die entsprechenden politischen Akteure können das „undemokratische“ Handeln anprangern.

Fazit

Für mich ist das Konzept der Herdenimmunität rein spekulativ und kann zum Zusammenbruch des gesellschaftlichen Lebens führen. Das Dilemma der Akzeptanz von persönlichen Einschränkungen kann nur mit schonungslos ehrlicher und transparenter Kommunikation gelöst werden. Handelt der demokratische Staat vermeintlich undemokratisch wird der Ruf nach einer Alternative laut. Diese wird aber keine Demokratie sein.

Wie machen wir also weiter?
Hoffen wir auf das Wunder „Herdenimmunität“ und bis dahin „lasst uns fressen, saufen und feiern – morgen sind wir tot“? Oder halten wir durch, mit Maske, Abstand und anderen Einschränkungen?

Ich meine für mich, Letzteres ist der bessere Weg. Der Impfstoff steht in absehbarer Zeit zur Verfügung, eine Durchimpfung und somit ein Ende der Pandemie scheint in Sicht.

Die jetzt lebenden Generationen werden so schnell nicht vergessen, dass es Pandemien geben kann. Hoffen wir darauf, dass wir es auch schaffen die virologische Forschung, auch außerhalb der Pandemiezeit, weiterzuführen. Für das nächste Mal.

Und wehren wir uns gegen Angriffe auf unsere Demokratie -mit aller Kraft.

Bild von Alexandra_Koch auf Pixabay

Anmerkung zum Autor:
Der Autor, also ich, ist weder Epidemologe noch Virologe oder Historiker. Er ist Ingenieur und schreibt aus seinen Kenntnissen aus seinem Militärdienst und der nichtamtlichen Tätigkeit im Zivil- bzw. Bevölkerungsschutz vor über 30 Jahren heraus. Ansonsten versucht er das Thema mit seinen Erfahrungen und dem erworbenen Wissen zu verarbeiten. Eventuelle Fehler und Ungenauigkeiten können gern kommuniziert werden, der Artikel stellt eine Meinungsäußerung dar.

Besuch bei den MOMO‘s

MOMO-The voice of disconnected youth ist eine Organisation von Jugendlichen für Jugendliche.

Für Freitag, den 08. November 2019, war ich zur 5. Bundeskonferenz der Straßenkinder eingeladen. Als Mitglied des Jugendhilfeausschusses im Stadtrat Leipzig war es für mich selbstverständlich diese Einladung anzunehmen, obwohl ich die Veranstaltung bereits am Mittag wegen anderer Termine verlassen musste.

Einleitend sei gesagt, dass mir das Thema Straßenkinder seit langem bekannt ist. Wie viele andere auch habe ich es aber wahrscheinlich zu einseitig gesehen und unterschätzt. Einseitig, weil von vielen Menschen diese Kids als ein Problem der Großstädte und in diesen als eines der unterprivilegierten Schichten gesehen werden. Die Unterschätzungen liegen zum Einen in der Anzahl der Straßenkinder, sie fliegen so zu sagen unter dem Radar, und zum Zweiten darin, dass man dazu neigt Patentrezepte für die „Beseitigung“ (auch wenn man den Terminus „Bekämpfung“ wählt wird es nicht besser) dieses Problems zu suchen.

Sorry Christian, dass ich mich nach unserem Gespräch in der Pause nicht zu Wort gemeldet habe. Ich war dort um zu lernen, nicht um weise Sprüche von mir zu geben. Ich habe lieber zugehört und in den Pausen persönliche Gespräche geführt.

Christian hatte mich aufgefordert einen Gedanken öffentlich zu äußern der mich schon lange umtreibt. Der Gedanke ist folgender:

Wir sind in der Jugendhilfe teilweise bei A.S. Makarenko und seinen беспризорный * (besprizornyy) stehen geblieben. Bei dem Ansatz aus den obdachlosen Kindern und Jugendlichen „wertvolle Mitglieder“ unserer Gesellschaft zu machen. Mitglieder der Gesellschaft die sie ausgestoßen hat und ablehnt. Wir müssen sie also zuallerest akzeptieren, so wie sie sind.“

Mir drängt sich da geradezu zwanghaft eine Analogie auf, die ich in Bezug auf geflüchtete Menschen formulierte. Ich beschrieb das so:

Sie sitzen vor dem Schaufenster, können sogar durch unsere Welt gehen – aber bitte nur als Zuschauer, nicht als Teilnehmer. Nach Jahren dieses Zustandes fordern wir dann eventuell gnädigerweise „Jetzt müsst Ihr teilnehmen! Aber dalli!“ Wie soll das funktionieren?

Genug davon, was habe ich gelernt?

Es gibt viele Herausforderungen die wir angehen müssen, die nachfolgenden sind nur ein Auszug aus dem was ich mitgenommen habe.

  • Aus den Gesprächen und Wortbeiträgen sehe ich, dass der Erfahrungshorizont der dort beteiligten Kids weit über dem gleichaltriger Kinder und Jugendlicher liegt. Wir müssen uns angewöhnen sie so zu behandeln. Ein Beispiel wurde genannt: Ein 13jähriger der seit Jahren seine kleinen Geschwister und sogar seine Eltern versorgt hat, kann auch selbständig leben. Das muss man nicht gut und richtig finden – aber man muss ihn entsprechend seiner Lebenserfahrungen behandeln.
  • Es ist schlicht und ergreifend falsch, wenn die Altersgrenze von 18 Jahren das Ende von HZE (Hilfe zur Erziehung) bedeutet und somit der Anspruch z.B. auf das Leben in einer Wohngruppe endet, ohne adäquaten eigenen Wohnraum bereit zu stellen.
  • Die Bürokratiehürden für die Beantragung und Gewährung der zustehenden Hilfen müssen gesenkt werden. Einfachere Sprache in den Formularen ist dafür erforderlich und vor allem muss die Verantwortung der Bearbeiter in den Ämtern eingefordert werden. Es kann nicht sein, dass Hilfe zum Überleben an einem fehlerhaft ausgefülltem Formular scheitert. Das gilt nicht nur für Straßenkinder sondern für viele Menschen die staatliche Hilfen in Anspruch nehmen müssen.
  • Niedrigschwelliger Zugang zu anderen Hilfsangeboten ist erforderlich. Hilfe zum Überleben darf nicht von so genannter „Kooperationswilligkeit“ abhängig gemacht werden. Dazu gehört auch die Erreichbarkeit der Hilfsangebote mit dem ÖPNV, auch wenn man kein Geld hat. Freie Nutzung des ÖPNV für Kinder und Jugendliche, besonders die damit einhergehende Entkriminalisierung des Schwarzfahrens, gehören dazu.

Es gibt viele weitere und vielleicht auch wichtigere Erkenntnisse die ich bei den MOMO‘s gewonnen habe und die mich in meiner weiteren Arbeit beeinflussen werden, aber ich will ja hier kein Buch schreiben.

Die wichtigste Erkenntnis in einem Satz:

Hört den Straßenkindern zu und handelt!

Am Ende noch einmal Danke an MOMO und Karuna für die Einladung und die Gespräche. Ich hoffe wir bleiben in Verbindung.

* беспризорный – in der Bedeutung von: obdachlose, verwahrloste, aufsichtslose Kinder und Jugendliche – so nennt Makarenko seine Zöglinge