Grundschule, Diversität, Maulfürze und Luftfilter

Ich wollte heute nur meinen Redebeitrag zum Thema „Luftfilter an Schulen“ hier einstellen, muss aber auf die Ratsversammlung des Stadtrates Leipzig doch etwas näher eingehen.

Grundschule Kurt-Eisner-Straße

Die Vorlage zu diesem Thema dominierte die gesamte Ratsversammlung, voraussichtlich wird sie auch die Berichterstattung dominieren, auch wenn sie erst am Schluss aufgerufen wurde.

Ich gehe hier nur kurz auf mein Abstimmungsverhalten, ja ich habe für die Vorlage gestimmt, und auf die Gründe dafür ein.
Es gefällt mir auch nicht, dass wir einen Investor beauftragen wollten und ich war mit dem angebotenen Grundstückstausch nicht glücklich.
Schauen wir uns die Alternativen an, dann überzeugen sie mich nicht, trotz vehementer Verteidigung dieser durch Linke und Grüne. Es konnte kein wirklich überzeugender Plan B präsentiert werden und es bleibt die Frage „Warum stehen auf den unbedingt für städtische Wohnbauvorhaben benötigten Grundstücken bis heute eben keine Wohnbauten?“ Es gibt bisher nicht einmal eine Interessenbekundung dies zu tun.
Ja, auch ich will Leo’s Brasserie helfen, aber im worst case geht für mich Schule vor Gastro.

Die Vorlage wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt.

Mein Abstimm-Verhalten muss nicht jedem gefallen, aber wenn ich gefallen wollte wäre ich Model geworden. Alles weitere zu dem Thema wird wohl in der Presse zu finden sein. Eine Anmerkung noch, ich würde mich ehrlich freuen, wenn der jetzt bestehende Notfallplan ohne zu große Einschränkungen für die betroffenen Kinder, Eltern und Leipziger Finanzen ausgeht.

Diversität

Genau an dem Tag, als ganz Deutschland über Regenbogenflaggen und -beleuchtungen diskutierte, wurde im Stadtrat über einen Antrag des Jugendparlamentes abgestimmt. Thema: „Hilfe für Menschen des dritten Geschlechts an Schulen“ und auch hier war die Diskussion kontrovers.
Die CDU-Fraktion stellte das „dritte Geschlecht“ als Begriff in Frage und wollte den Antrag auf biologisch intersexuelle Menschen herunterbrechen. Das kann man formal so sehen, ist aber nicht zielführend.
Die SPD-Fraktion stellte einen Änderungsantrag der den Antrag neu und formal richtig formulierte. Leider konnte dieser aus Zeitgründen nicht mit dem Jugendparlament abgestimmt werden, somit konnte sich die Einbringerin nicht wirklich dazu äußern.
Ich wollte dazu natürlich auch etwas sagen, aber vorher kam noch Herr Obser von der AfD, ich zitiere;

„Ich würde vorschlagen, wir bleiben alle was wir sind und beenden diese unsägliche Debatte. Wenn die Herrschaften diese Debatte führen wollen, dann schlage ich eins vor: Machen Sie Wahlkampf auf dem Markt, dort haben Sie ihr Publikum. Aber wie das aussieht, da können Sie dann rätseln drüber.“

Das stellte sich dann als Antrag zur Geschäftsordnung, auf Beendigung der Debatte, heraus, was nicht einmal der Oberbürgermeister so verstanden hatte und ich wurde aufgefordert die Gegenrede zu halten. Sie bestand in folgender Formulierung:

„Ich bin dagegen.“

Ich hätte gern den Beitrag in klassischer Deutscher Manier als Maulfurz bezeichnet. Da sich das nicht gehört, habe ich mich mit der Formulierung „unsachlich“ begnügt.

Das ist alles im Stream ab Minute 01:23:30 nachzuhören.

Dem Antrag wurde in der Fassung des Änderungsantrags der SPD, mit einigen Ergänzungen, zugestimmt.

Luftfilter

Ich weiß natürlich um die Brisanz des Themas „Luftfilter für Schulen“ aber ich habe meinen Redebeitrag, bis auf die Einleitung, nicht so formuliert weil der Antrag dazu von der AfD kam. Auch Anträge anderer Fraktionen hätte ich, zum jetzigen Zeitpunkt, genau so behandelt. Im Stream ist das ab Minute 01:56:00 zu hören, nachfolgend der Text – evt Abweichungen im Vortrag sind möglich.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister
Meine Damen und Herren Beigeordnete,
Kolleginnen und Kollegen Stadträte,
Liebe Zuschauende und Pressevertreter.
Es ist ein kleiner Schritt bei der Bekämpfung der SARS-Covid-19 Pandemie, aber ein großer Schritt für die KollegInnen der AfD-Fraktion – der Antrag bedeutet ja schließlich de facto die Anerkennung der pandemischen Gefährdung, auch unserer Schülerinnen und Schüler durch das Virus. Meinen Dank dafür.
Trotzdem kann ich diesem Antrag nicht zustimmen, obwohl der grobe handwerkliche Fehler des Ursprungsantrags beseitigt wurde. Die ursprüngliche Aussage „Mobile Geräte könnten zu unterschiedlichen Zeiten flexibel in verschiedenen Räumen aufgestellt werden, um die Luft in möglichst allen Klassenräumen filtern zu können.“ besagte ja, dass man die Geräte nach erfolgreicher Luftreinigung in einem Zimmer in das nächste schaffen könne. Kurz gesagt, mit Verzicht auf diesen Passus steckt im Antrag jetzt wohl etwas mehr Bütow drin.
Ich hatte letztes Jahr im Spätsommer die Idee zu einem solchen Antrag, habe sie geprüft und verworfen.
Luftfiltergeräte, hier liegt die Betonung auf Geräte die eben keine fest verbauten Anlagen zur Frischluftzufuhr sind, auch wenn sie die Virenlast im Klassenzimmer verringern, schaffen ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.
Ich möchte nicht behaupten, dass der Antrag allein auf die Abschaffung besonders der Maskenpflicht hinzielt, aber gerade diese würde als erstes dieser trügerischen Sicherheit geopfert.
Gründe warum es eben eine trügerische Sicherheit ist möchte ich nur zwei aufführen: Erstens – das ist reine Strömungsmechanik – wird nicht die gesamte Raumluft gereinigt und es verbleiben Blasen mit hoher Virenlast. Zweitens müsste es für Räume mit verschiedenen Größen und zuschnitten dann auch verschiedene Luftfiltergeräte geben.
Kritisch sehe ich aber auch den VSP, der zwar richtigerweise zum ersten Punkt ausführt, aber eben das Stoßlüften als alternativlos darstellt.
Meine Damen und Herren,
wir, der Stadtrat und die Verwaltung sitzen heute unter Coronabedingungen in einem Raum, in dem für jeden Teilnehmer ein mehrfaches des Luftvolumens und der Fläche zur Verfügung steht, als für Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer in einem Klassenzimmer – eine Lüftungsanlage gibt es außerdem. Betrachten wir das Klassenzimmer als Arbeitsplatz für die Genannten, dann komme ich zum Schluss, dass die „Technischen Regeln für Arbeitsstätten“, insbesondere die der „ASR A3-6 Lüftung“, dort nicht einmal als Absichtserklärung verstanden werden. Diese besagt nämlich:
„In umschlossenen Arbeitsräumen muss gesundheitlich zuträgliche Atemluft in ausreichender Menge vorhanden sein. In der Regel entspricht dies der Außenluftqualität.“
Sogar die Bundesregierung hat das festgestellt das Wirtschaftsministerium fördert den Neueinbau von stationären Frischluft-Klimaanlagen in Kindergärten und Grundschulen zu 80%.
Fragen bleiben natürlich, so „Wo nehmen wir die 20% her?“, „Wie lange dauert die Ausrüstung der Einrichtungen?“, „Wie hoch sind die Folgekosten?“ und „Warum nur Kitas und Grundschulen?“
Das ist aber die Lösung, wenn auch erst in Zukunft. Natürlich nur wenn es angepackt wird.
Bis dahin müssen, die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer leider, im Falle einer 4. Welle oder einer anderen Pandemie, weiter mit Lüften, Abstand, Masken und auch Schließungen, als ultima ratio, leben.
Hier möchte ich darauf hinweisen, dass die Pandemie in aller Deutlichkeit die Defizite bei der Digitalisierung, nicht nur, im Bildungssystem aufgezeigt hat.
Wir brauchen dringend daneben auch einen digitalen Unterricht der diesen Namen verdient. Eine Möglichkeit diesen Unterricht als einen mit digitaler Präsenz zu gestalten, mit echter Interaktion zwischen LehrerInnen und SchülerInnen. Das ist aber Inhalt eines anderen Antrages.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Der ADAC-Sachsen und die Verkehrspolitik in Leipzig

Helmut Büschke, seines Zeichens Vorstandsmitglied des ADAC-Sachsen für Verkehr und Technik, hat den Leipziger StadträtInnen einen Brief zur „Verkehrspolitik des Stadtrates in Leipzig“ geschrieben.
Ich konnte mich nicht enthalten schnell darauf zu antworten, er hat im Brief viele Themen angesprochen, allerdings teils (vorsichtig gesagt) verdreht.
Also viel Spaß. Das Antwortschreiben ist naturgemäß ziemlich lang und geht nur auf die angesprochenen Themen ein.

Thomas Köhler
Stadtrat der Piratenpartei
Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat
Neues Rathaus
Zimmer 101
Martin-Luther-Ring 4-6
04109 Leipzig

Allgemeiner Deutscher Automobil-Club Sachsen e.V.
Helmut Büschke
Vorstandsmitglied für Verkehr und Technik
Striesener Straße 37
01307 Dresden

Leipzig, 28.05.2021

Verkehrspolitik des Stadtrates in Leipzig

Sehr geehrter Herr Büschke,

vielen Dank für Ihr Schreiben, auf das ich Ihnen gern antworte.

Zur Einleitung eine kurze Vorstellung. Ich bin 64 Jahre alt, gelernter Kfz-Schlosser und Ingenieur für Maschinenbau/Kraftfahrzeugtechnik. Von 1994 bis 2008 war ich als Mitarbeiter im Pannenhilfs-, Abschlepp- und Bergungsdienst erst für den AvD und dann 10 Jahre für den ADAC in Leipzig und Bremen tätig. Meine letzte Tätigkeit war Betriebsleiter eines Straßendienstpartners.

Diese Erklärung war vielleicht notwendig, um mir keine generelle Autofeindlichkeit unterstellen zu können.

Ziel meines Engagements in der Verkehrspolitik der Stadt Leipzig ist eine gleichberechtigte Teilnahme aller Verkehrsarten am Straßenverkehr und besonders eine Erhöhung der Verkehrssicherheit.

Aus diesem Ziel heraus leite ich die Förderung des Radverkehrs, des Fußverkehrs und insbesondere des ÖPNV ab. Daraus resultiert mein Bestreben nach einer Änderung der bisherigen Verkehrspolitik, die eine Dominanz des motorisierten Individualverkehrs zementierte.

Eine Zahl nur, der Gesamtflächenverbrauch aller in Deutschland zugelassenen PKW (ohne Anhänger), lt. Statista 48,249 Mio im Jahr 2021, beträgt ohne die Einrechnung von Parkabständen rund 506,6 km². Das entspricht ungefähr 67% der Gesamtfläche der Freien und Hansestadt Hamburg. Es ist also ein sehr großer Parkplatz. Nehmen wir noch die PKW-Anhänger, LKW mit Anhängern oder Aufliegern und die Sonderfahrzeuge hinzu, dann bewegt sich wahrscheinlich täglich ein Saarland durch Deutschland – oder es steht dort herum.

Da sich der Verkehrsraum nicht, oder nur gering, baulich erweitern lässt, kann dieser eben nur neu aufgeteilt werden. Dies muss zu Gunsten der bisher benachteiligten Verkehrsarten geschehen.

Ein besseres Miteinander aller VerkehrsteilnehmerInnen muss auf Augenhöhe der einzelnen Verkehrsarten zustande kommen und ist hoffentlich unser gemeinsames Ziel.

Kommen wir zu den von Ihnen benannten Schwerpunktthemen:

Generelles Tempo 30

Ich möchte wirklich nicht belehrend klingen, aber es gibt keine Bestrebungen eine generelle Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h einzuführen. Vielmehr geht es um einen Modellversuch mit einer Regelgeschwindigkeit.

Wer den Beschluss des Stadtrates liest und versteht weiß auch, dass eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h keine generelle Höchstgeschwindigkeit darstellt.

Es gilt momentan eine Regel-Höchstgeschwindigkeit in Ortschaften von 50 km/h was bedeutet, es kann Ausnahmen geben. So die von Ihnen benannten Tempo-30-Zonen, aber auch Straßen oder Abschnitte mit Tempo 60 oder 70.

Was ändert sich also? Ich zitiere mich hier selbst, obwohl das schlechter Stil ist.

Tempo 30“ als Regelgeschwindigkeit ist ein Paradigmenwechsel in der Bewertung des Verkehrsraumes. Es wird nicht mehr gefragt „Unter welchen Bedingungen können wir eine Straße oder ein Gebiet auf Tempo 30 herabsetzen?“. Die Frage ist:
Wie muss eine Straße beschaffen sein, damit dort mit „Tempo 50“, oder auch schneller gefahren werden kann?“

Aus meiner Sicht sind also die von Ihnen gezogenen Schlussfolgerungen aus dem Beschluss des Stadtrates nicht zutreffend.

Einige Ausführungen dazu:

Die Aussage im Absatz 1 „Über 70% der Leipziger Straßen sind mit einer Tempo-30-Regelung versehen…“ ist irreführend, sie impliziert, dass auf über 70% der Straßen Tempo 30 gilt. Richtiger wäre es wohl zu sagen, dass es auf über 70% der Straßen, zumindest auf Abschnitten, Tempo-30-Regelungen gibt.

Weiter schreiben Sie: „Hauptverkehrsstraßen sind bautechnisch für ein Tempo von 50 km/h angelegt und Unfälle passieren dort meist an Kreuzungen oder Einmündungen, wo allein systembedingt geringere Geschwindigkeiten gefahren werden.“

Auch hier muss man die Betrachtung korrigieren. Die meisten Hauptverkehrsstraßen in Leipzig, mit wenigen Ausnahmen wie der Gerberstraße zwischen Wilhelm-Liebknecht-Platz und Innenstadtring, sind, wie die Georg-Schumann-Straße, ursprünglich für den Straßenbahnverkehr und geringe Kfz-Nutzung gebaut worden. Der Ausbau zur „einigermaßen-autogerechten-Straße“ erfolgte ab den späten 1960er Jahren und war von vornherein nicht ausreichend.

Besonders durch die kurz aufeinanderfolgenden rechtwinkligen Einmündungen, mit kurzen Krümmungen, und die relativ kurzen Abstände der Haltestellen von Bahn und Bus, ist in diesen Straßen eine Geschwindigkeit von 50 km/h eine eher theoretische Möglichkeit. Das gilt für Kfz und ÖPNV.

Die an den Kreuzungen und Einmündungen erhöhte Unfallhäufigkeit resultiert besonders aus fehlendem Mindestabstand der Fahrzeuge bei Bremsvorgängen. Ein Grund ist auch die Sichtbehinderung, durch im Kreuzungsbereich parkende Fahrzeuge, für die in den Kreuzungsbereich einfahrenden Kfz.

Kurz noch zum Abend-, Nacht- und Wochenendverkehr und zur Erhöhung der Reisezeiten. Sie haben das schon richtig formuliert, das gilt tatsächlich nur zu diesen Zeiten. Gerade im Berufsverkehr ist meist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von weit unter 50 km/h möglich. Verlängern sich die Reisezeiten nun wirklich? Wenn der Verkehr mit 30 km/h flüssig läuft, dann scheint der Unterschied in der Fahrzeit innerhalb von Leipzig erheblich zu sein. Immerhin benötigt man für 10 km Strecke mit 50 km/h nur 12 Minuten, gegen über 20 Minuten mit 30 km/h.

Hier muss ich auf meine Einleitung „Was bedeutet Regelgeschwindigkeit“ hinweisen. Wenn Straßen die nach den Kriterien für 50, 60 oder 70 km/h geeignet sind aus der 30er Regelgeschwindigkeit herausgenommen werden, dann sieht das anders aus. Wenn überhaupt, dann werden Autofahrende auf die Straßen mit höherer Regelgeschwindigkeit ausweichen.

Mein Fazit hierzu ist:

Der Modellversuch ist richtig und die Ergebnisse werden für sich sprechen, ob nun für oder gegen die generelle Einführung. Wenn der Modellversuch positive Ergebnisse bringt, dann sind diese auch für die Kfz-Nutzer positiv und die Akzeptanz steigt.

Radfahren auf dem Ring

Natürlich kann man sich über die Notwendigkeit der Nutzung des Innenstadtrings durch den Radverkehr streiten. Übrigens, sie verwenden für diesen den Ausdruck „Promenadenring“, den ich bevorzuge. Der Ring als Promenade – das wäre schön. Aber Spaß beiseite.

Meine Antwort ist hier: „Ja, die Nutzung des Promenadenringes durch den Radverkehr ist notwendig.“

Das hat mehrere Gründe.

  1. Die Leipziger Innenstadt soll nicht für den Durchgangsverkehr durch die ständig steigende Anzahl von Radfahrenden genutzt werden. Eine wirklich erlebenswerte Innenstadt lebt vom Fußverkehr.
  2. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Alternativstrecken für Radfahrende, außerhalb des Promenadenringes, relativ enge Straßen, die auch vom Kfz-Verkehr genutzt werden und meist zugeparkt sind. Hier besteht, auch durch Dooring, eine hohe Unfallgefahr.
  3. Radfahren ist heute kein Hobby oder Sport, es ist eine gleichwertige Verkehrsart und muss auch so behandelt werden.

In einem gebe ich Ihnen natürlich Recht. Fahrbahnmarkierungen stellen keinen Schutz für Radfahrende dar. Die Alternative wäre dann natürlich der Rückbau einer Fahrbahn und Ausbau von separaten Radwegen mit Bord.

Ich bin jederzeit für einen weiteren Gedankenaustausch, auch in Gesprächsrunden oder Foren, bereit.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Köhler

Vor langer Zeit…

Header-Bild von Ulrike Leone auf Pixabay

Die Würde des Menschen – Housing first

Am gestrigen Tage, bei der Fortsetzung der Ratsversammlung vom 21.04.2021, stand im Stadtrat Leipzig die Vorlage VII-DS-01659 – „Modellprojekt „Eigene Wohnung“ zur Erprobung des Housing-First-Ansatzes in Leipzig“ zur Abstimmung.
Durch die Übernahme des Änderungsantrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, VII-DS-01659-ÄA-01, durch die Verwaltung entzündete sich die Diskussion bereits im Voraus erneut.

Worum ging es?

Im Originaltext gab es eine Passage folgenden Inhaltes:

Das Projekt richtet sich an Personen, die: …
einer sozialen Betreuung zustimmen, welche einen wöchentlichen Hausbesuch in der Wohnung der Teilnehmenden anzielt,

Die Antragssteller wollten, dass dieser Punkt gestrichen wird und dafür folgende Formulierung aufgenommen wird:

Teilnehmer/-innen müssen nicht einer sozialen Betreuung zustimmen, sondern bekommen einen wöchentlichen Hausbesuch in der Wohnung angeboten.

Warum der Streit?

Die CDU war der Meinung, dass eine verpflichtende soziale Betreuung zum Gelingen des Projektes erforderlich ist. Nicht ganz so klar ausgedrückt wurde, dass wohnungslose Menschen nicht in der Lage sind selbständig den Rettungsanker (verzeiht mir die nautische Metapher) zu ergreifen und angebotene Hilfen anzunehmen.
Klartext: Wohnungslose Menschen sind unmündig und brauchen einen Vormund! Vielleicht ein bisschen stark formuliert, aber meiner Meinung nach trifft es den Kern. Auch in der Fraktion Freibeuter gab es zu dem Änderungsantrag durchaus keine einheitliche Meinung, das Modellprojekt selbst stand aber nie zur Disposition.

Wie ist meine Meinung dazu?

Nachfolgend könnt ihr meinen, zugegeben für mich etwas emotionalen, Redebeitrag lesen. Einige Vorbemerkungen.

So breitet der Souverän, nachdem er jeden Einzelnen der Reihe nach in seine gewaltigen Hände genommen und nach Belieben umgestaltet hat, seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes; er bedeckt ihre Oberfläche mit einem Netz kleiner, verwickelter, enger und einheitlicher Regeln…; er bricht den Willen nicht, sondern er schwächt, beugt und leitet ihn; er zwingt selten zum Handeln, steht vielmehr ständig dem Handeln im Wege; er zerstört nicht, er hindert die Entstehung; er tyrannisiert nicht, er belästigt, bedrängt, entkräftet, schwächt, verdummt und bringt jede Nation schließlich dahin, daß sie nur noch eine Herde furchtsamer und geschäftiger Tiere ist, deren Hirte die Regierung.

Ich stimme Alexis de Tocqueville (1805-1859) nicht vollumfänglich zu, aber in diesem Zitat aus „Über die Demokratie in Amerika“ steckt auch für diesen Fall etwas an Wahrheit. Warum habe ich da etwas markiert?
Oft, ich denke hier besonders an die Hartz IV Regularien, wird den BürgerInnen die Entscheidungsfreiheit genommen, sie werden geradezu entmündigt und, wenn auch nicht explizit so ausgedrückt, unter Amtsvormundschaft gestellt. Die Durchsetzung von Regularien ist dem Erreichen von Ergebnissen übergeordnet. Der Staat entzieht diesen Menschen die Selbstbestimmung und gerade konservative Parteien und Politiker, die immer die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Menschen plakativ vertreten, stimmen in den Chor der Verfechter einer solchen Politik ein.

Ich habe das, in Kurzform, versucht in meinem nachfolgenden Redebeitrag auszudrücken. Ich freue mich über das positive Votum für die Vorlage und besonders über die Zustimmung meiner Fraktion.

Redebeitrag

„Housing first“ ein Programm für wohnungslose Menschen ist für mich ein wichtiger Schritt in unserer Sozialpolitik.
Wer selbst noch nie vor der Gefahr stand in die Wohnungslosigkeit zu fallen, wer immer ein stabiles Lebensumfeld und Lebensumstände hatte, dem fällt es schwer die Gründe von Wohnungslosigkeit nachzuvollziehen. Falls jetzt jemand sagt, der Köhler quatscht nur, ich stand schon einmal am Rande dieser Situation.
Jobverlust, Trennung oder Scheidung, Abrutschen in den Alkoholismus oder Drogenkonsum sind nur einige Gründe. Zur Wahrheit gehört auch, dass sich wohnungslose Menschen oft um Hilfen bemüht haben, aber an der Bürokratie gescheitert sind – oder sich von den Akteuren der Ämter im Stich gelassen fühlen.
Das ist kein Vorwurf gegen unsere Ämter, die meisten MitarbeiterInnen machen einen guten Job, sind aber an Vorgaben gebunden.
So war für mich persönlich der, jetzt ersetzte Satz:
„Personen die: einer sozialen Betreuung zustimmen, welche einen wöchentlichen Hausbesuch in der Wohnung der Teilnehmenden anzielt,“
aus mehreren Gründen nur schwer tragbar.
1. impliziert er, die Unmündigkeit wohnungsloser Menschen, die sich mit ihrer Teilnahme an diesem Programm entschlossen haben diesem Zustand zu entkommen
2. der Satz beschreibt eine soziale Betreuung nur mit dem Ziel eines wöchentlichen Hausbesuchs. Das könnte man, was ich aber nicht mache, mit einer Anwesenheitskontrolle verwechseln.
Aus meinen beruflichen Erfahrungen, nicht mit wohnungslosen Menschen sondern bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und ehemaligen Drogenabhängigen, kann ich nur bestätigen, dass sich Menschen in einer Notlage – die sich entschlossen haben diese zu beenden – jedes Hilfsangebot annehmen.
Weil sie entschlossen sind! Das müsste gerade die Mitglieder der konservativen Parteien freuen.
Sehen wir die wohnungslosen Menschen als mündige MitbürgerInnen in einer Notsituation.
Ich persönlich stimme der Vorlage in der geänderten Form zu, empfehle diese Zustimmung auch meiner Fraktion und bitte Sie um ein positives Votum.

Bild von MargGe auf Pixabay (bearbeitet)